Familienküche

Küchengeschichte: Von der Keller- zur Wohnküche

Die Auseinandersetzung der Architekten mit der Küche – dem Raum, in dem Essen gekocht und ggf. auch verzehrt wird – war nie ganz frei von Konflikten. Zum einen war die Küchengestaltung schon immer eine technische Herausforderung, weil die Räume ausreichend groß, hygienisch und gegen Feuer gesichert sein mussten. Zum anderen war die Küche und ihre Gestaltung grundsätzlich von unterschiedlichen Auffassungen geprägt.

Lange war die Küche ein Teil des Hauses, der verborgen bleiben sollte. So schrieb  Leon Battista Alberti (1404-1472), italienischer Architekt und Architekturtheoretiker, 1452 "über das Bauwesen": „Die Küche soll sich weder mitten unter den Tischgästen befinden, noch darf sie allzu weit entfernt sein, damit nicht die für die Gastmähler warm zubereiteten Speisen beim Auftragen kalt werden. Es wird genügen, wenn man vom Lärm der Diener, der Teller und Schüsseln und vom Küchendunst nichts merkt.“ Wer es sich leisten konnte, hielt seine Küche also in einem nahe gelegenen separaten Gebäude oder im Keller, mit dem Hauptwohnbereich durch einen Gang oder eine Arkade verbunden. Rauch, Küchengerüche und Lärm waren damit verbannt.

Um 1900 vollzog sich ein Wandel im Verständnis der Küche. Entsprechend stufte der deutsche Architekt Gottfried Semper (1803-1879) die Küche 1851 in "Die vier Elemente der Baukunst" als Zentrum des Hauses ein: „Durch alle Entwicklungsphasen der Gesellschaft bildet [der Herd] den heiligen Brennpunkt, um den sich das Ganze ordnet und gestaltet. Er ist das erste und wichtigste, das moralische Element der Baukunst.“ Für die ärmeren Haushalte traf dies schon aus der Not heraus zu. Oft war die Küche der einzige beheizte, manchmal sogar der einzige Raum, in dem nicht nur gekocht und gegessen, sondern auch gewohnt und geschlafen wurde. Doch auch die wohlhabenden Haushalte zelebrierten und inszenierten nun den Ort der Speisenzubereitung und ließen ihre Küchenmöbel von Künstlern gestalten. Um entsprechend hochwertige Gebrauchsgegenstände herzustellen, wurde 1903 die „Wiener Werkstätte“ gegründet. „(...) nichts dem Auge Sichtbares entsteht, ohne die künstlerischen Weihen zu empfangen.“ Das Motto des österreichischen Architekten Otto Wagner und der Werkstätten-Gedanke der englischen Arts and Crafts-Bewegung war dafür wegbereitend.

In Deutschland entwickelte sich zu dieser Zeit eine Abkehr von dem repräsentativen Wohnstil des 19. Jahrhunderts hin zu einer auf Funktion fokussierten Gestaltung. Analog zur industriellen Produktion wurde der Haushalt unter den Gesichtspunkten der Rationalität und Effizienz betrachtet. Der deutsche Architekt Georg Metzendorf (1874-1934) schuf hierfür einen neuen Grundriss, das sogenannte "Essener Haus": Die Küche befand sich hier im Mittelpunkt des Grundrisses. Der gekachelte Herd diente nicht nur zum Kochen, sondern heizte die benachbarten Räume und über vertikale Warmluftkanäle auch die Schlafzimmer im Obergeschoss. Übel riechende und dampferzeugende Hausarbeiten wurden in eine separate Spülküche ausgegliedert, auch eine Badewanne wurde hier aufgestellt. Die Wohnlichkeit der Hauptküche wurde dadurch gesteigert. Es war Platz für die Kinder, die die Mutter dadurch im Blick hatte.

Die Wiener Architektin Margarete Schütte-Lihotzky ging in Sachen Effizienz viel weiter und begründete: „Kommen wir in die Wohnungen, so finden wir noch immer den alten Tand und die üble übliche ‚Dekoration’. (...) Die Frauen nehmen lieber alle Mehrarbeit auf sich, um ein ‚frauliches und gemütliches’ Heim zu haben. Jede denkende Frau muss die Rückständigkeit bisheriger Haushaltführung empfinden und darin schwerste Hemmung eigener Entwicklung und somit auch der Entwicklung ihrer Familie erkennen.“

Frankfurter Küche der Architektin Margarete Schütte-Lihotzky
Frankfurter Küche der Architektin Margarete Schütte-Lihotzky
Im Rahmen des Stadtplanungsprogramms „Neues Frankfurt“ entwickelte Schütte-Lihotzky 1926 eine Kücheneinrichtung ganz neuer Art: Um Arbeitswege zu verkürzen, wurde die Küche insgesamt kleiner. Die Hochschränke kamen direkt unter die Decke, damit sich kein Schmutz darauf ablagern konnte. Der Arbeitstisch war in ergonomischer Höhe, mit Stuhl und Abfallschublade versehen. Schütte-Lihotzky führte die vielen Details vom Müllschlucker bis zum ausklappbaren Bügelbrett selbst vor. Der Film (s.u.) war auch als Bedienungsanleitung gedacht. Die Hausfrau musste erst lernen, wie man in so einer Küche hantierte. Schütte-Lihotzky war zuversichtlich: „Unter den Hausfrauen wird die geistig geschulte Frau unterstützt von richtigen Geräten und Maschinen und bei richtiger Wohnungseinteilung, bald die zweckmäßigste Art und Weise ihrer Arbeit erkennen.“ Die Frankfurter Küche gilt als Prototyp der standardisierten Einbauküche.

Der deutsche Grafikdesigner Otl Aicher (1922-1991) sorgte in den 80er-Jahren für ein Umdenken. Für ihn war die Industrialisierung des Kochens zwangläufig mit einer Minderung der Qualität verbunden – nicht nur des Essens: Isoliert in ihrer engen Küche würde die Frau ihre Arbeit hier als Fron empfinden. Alle Tätigkeiten verrichtete sie mit Blick an eine Wand. Platz für eine weitere Person war nicht vorhanden. Die Frau war nicht mehr im Zentrum der Familie, sondern in ihre "Arbeitszelle der Essenszubereitung" abgeschoben. Aicher begründete das Konzept der Küche als "Werkstatt einer neuen Lebensstruktur". In seinem gleichnamigen Buch fordert Aicher eine offene Küche, bei der der Arbeitstisch im Mittelpunkt steht. Kochen habe immer auch eine kommunikative Funktion. Kochlöffel, Kellen und Schöpfer sollten nicht mehr in Schubladen verstaut werden, sondern in Greifnähe hängen. Der Designer kritisierte die klinische Leere vieler Küchen und deren geschlossene Fronten, die alles verstecken.

Dunstabzugshaube Falmec Vision mit integriertem TV
Dunstabzugshaube Falmec Vision mit integriertem TV
Seit den 80er Jahren hat sich der Trend von der Küche als reinem Funktionsraum wieder umgekehrt. Aichers Konzept der Wohnküche wurde von vielen Designern aufgenommen. Die Küche bekam einen neuen Stellenwert, ihre Einrichtung und Gestaltung wurde immer aufwändiger. Heute ist die Küche ein Mehrzweckraum. Aus gutem Grund: Die wenigsten nutzen ihre Küche nur zum Kochen. Für viele ist sie der Lieblingsort, um Musik zu hören, fernzusehen, zum Hausaufgaben-Machen oder zum Treffen mit Freunden. Auch wenn Frauen regelmäßiger kochen, Männer experimentieren gerne und immer öfter. Und die Küchenhersteller stellen sich mit entsprechenden Einbaugeräten auf ihre Wünsche ein, ob Multimedia-Anwendungen in der Dunstabzugshaube oder Kaffeemaschinen, die einen zum Barista machen. Technik hat Männer schon immer begeistert, und so beherbergt manche Männerküche heutzutage schon mehr Hightech als die Garage ...

 

Die Frankfurter Küche in Gegenüberstellung zur aufwändigen alten Küche, in der vor dem Kochen noch Holz gehackt werden musste:

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