Zu Weihnachten schon mal einen Designkatalog verschenkt? – Nein, keinen voller Konsumartikel zum Bestellen, dafür mit einzigartigen Entwürfen zu einem wirklich heißen Thema: Wovon ernähren wir uns 2030? Wie werden wir kochen, wie essen? Dieser Ausstellungskatalog zeigt futuristische und jetzt schon mögliche Prototypen.
Eine Ausstellung, die viele verpasst haben, zum Glück ist dazu ein Katalog erschienen: Food Revolution 5.0 lief bis Oktober im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg. 30 internationale Designer waren dazu aufgerufen worden, die Zukunft der Ernährung in den Blick zu nehmen. Zur Erinnerung: 88 Millionen Tonnen Lebensmittel landen jährlich auf dem Müll – in der industrialisierten Welt. Anderswo verhungern Menschen. Bis 2030 wollen weitere 1,3 Milliarden täglich etwas essen können. Noch mehr Dünger, noch größere Maschinen, noch mehr Genmanipulation und Antibiotika helfen da nicht, im Gegenteil: Die industrielle Lebensmittelproduktion ist Krieg gegen die Natur, und bei diesem Krieg könnten am Ende alle auf der Strecke bleiben. „Es braucht dringend eine Food Revolution.“, nennt Kuratorin Claudia Branz die Hauptthese der Ausstellung. „Daher lautet das Gebot der Stunde, die Politik des Essens neu zu gestalten und dies auf allen Ebenen, der ökologischen, der ökonomischen, der sozialen, der moralischen und der ethischen.“
Und dazu sind nicht zuletzt innovative Designansätze gefragt, denn Design steuert Verhalten. Das beginnt beim Food Design und hört beim Küchendesign noch lange nicht auf. Die im Ausstellungskatalog gezeigten Arbeiten sind demnach als designkritisch zu verstehen. Was soll beispielsweise der Hype um kommunizierende Hausgeräte? Viel wichtiger sei es doch, findet Werner Aisslinger, dass in der Küche Menschen miteinander sprechen. Die communal cooking landscape, die der Designer für die Ausstellung entwarf, blickt zurück auf die Ursprünge des Kochens, verweist auf eine Zeit, als Menschen sich um die zentrale Feuerstelle versammelten und in der gemeinsamen Zubereitung Zusammengehörigkeit und mehr Befriedigung erlebten.
Seine Freiland Küche baute Ton Matton, Linzer Professor für Raum- und Designstrategien, schon in den 1990er-Jahren. Diese autarke Küche benötigt keinen Anschluss an Strom- oder Wasserleitungen. Sie nutzt Regenwasser, Sonnenlicht und Schilfpflanzen, die das verbrauchte Wasser wiederverwendbar machen. Als Garofen dient eine Heukiste. Der Kühlschrank ist ein ausgeklügelt isolierter Eisblock mit verschiedenen Kältezonen und Pflanzen obendrauf, deren Wurzeln das Schmelzwasser aufnehmen.
Jihyun Ryou und David Artuffo warnen mit safe food from the fridge vor dem Kühlschrank. Studien haben ergeben, dass ein Großteil des Lebensmittelabfalls ironischerweise durch dasjenige Gerät verursacht wird, das zum Erhalt von Lebensmitteln gedacht ist. Der Kühlschrank ist geradezu ein Lebensmittelversteck: Sehr viele Menschen vergessen, was in ihm ist – bis es zu spät ist. Als Duo haben Jihyun David traditionelle Methoden zur Haltbarmachung erforscht und diese nachgebaut. Herausgekommen ist ein modulares, hölzernes Wandregal, dessen besondere Konstruktion die sichtbare Lagerung von Wurzelgemüse, Eiern, Kartoffeln, Äpfeln und Gewürzen für mehrere Wochen ermöglicht. Das spart nicht nur (Kühlschrank-)Strom, sondern erhält auch das Aroma von Gemüse viel besser.
Jinhyun Jeon entwirft sinnliches Besteck, das mit sensorischen Mundreizen durch überraschende Formen hilft, ungute Essgewohnheiten abzulegen. Marije Vogelzang hat Porzellanteller kreiert, die eine Skulptur in der Mitte haben. Dadurch sieht der Teller voller aus als er defacto ist. Die Verhaltensforschung hat nämlich gezeigt, dass unser Sättigungsgefühl von einem bestimmten Volumen auf unserem Teller abhängt.
Mit seiner Arbeit portion distortion hat José de la O Müslischalen entwickelt, die eine farbige Abdeckung haben und einen schmalen Spalt. Der Spalt erschwert das Löffeln und zwingt dadurch zum langsamen Essen. Das Sättigungsgefühl stellt sich nämlich - unabhängig von der Menge, die man schon vertilgt hat - immer erst nach 20 Minuten ein. Der semitransparente Braunton des Deckels konterkariert die Lockkraft künstlich gefärbter Cerealien. Das hilft zusätzlich, sich nicht zu überessen.
Viele weitere Entwürfe und Konzepte, so dazu, einen appetitlichen Hasenbraten aus Mehlwürmer-Mus zu formen, nicht zuletzt erhellende, sehr gut geschriebene Texte machen diesen Ausstellungskatalog – auch wegen seiner tollen Gestaltung – zu einem besonderen Weihnachts- oder Sylvestergeschenk, bestellbar direkt beim Kettler Verlag.
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